In den Medien stolpert man nicht erst seit der Abschaffung der Glühbirne hin und wieder über verschiedene Lebensbereiche, die durch EU-Vorschriften harmonisiert wurden. Meist erzeugen diese Listen wahlweise staunende Gesichter, Gelächter oder Empörung. Als EU-Bürger wundert man sich über Abstandsregeln für Grillroste (max. 2 cm zwischen den Stäben!), Vorschriften zur elektrischen Leitfähigkeit von Waldhonig (0,8 Mikrosiemens pro Zentimeter!?) oder Mindestgrößen für das Fassungsvermögen von Kondomen (5 Liter!!!).

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Mario Rehse
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Unabhängig davon, ob nicht viele Beispiele für ausufernde EU-Bürokratie doch ins Reich der Mythen gehören, hat die EU eines definitiv noch nicht geschaffen: ein einheitliches Urheberrecht. Dafür ist sie Ende der 1990er ursprünglich angetreten. Die „Informationsgesellschaft“ war in aller Munde. Die Mitgliedsstaaten haben sich jedoch in zähen Verhandlungsrunden nur auf einen Minimalkonsens einigen können: jeder darf seine Ausnahmen vom Urheberrecht (die sog. Schranken) behalten und auch die der anderen Mitgliedsstaaten übernehmen, so man will. Verpflichtend war aber so gut wie nichts und dementsprechend ist das europäische Urheberrecht immer noch ein Flickenteppich. Wenig überraschend gibt es aber das Internet immer noch und es hält sich weiterhin nicht an Landesgrenzen.

Gleichzeitig ist unser aller Alltag zunehmend digital und so wird bei zwischenzeitlich ganz alltäglichen Nutzungsformen (z.B. soziale Netzwerke) das Urheberrecht zum Rechtsgebiet, mit dem jeder bewusst oder unbewusst zu tun hat. Letztes Beispiel von einiger medialer Wirkung: die Nutzung einer älteren Fotografie durch den Moderator Jan Böhmermann auf Twitter. Die gleichsam nachvollziehbare Empörung des Fotografen Martin Langer  zeigt, dass das Ziel eines verständlichen und allseits akzeptierten Urheberrechts für das digitale Zeitalter noch lange nicht erreicht ist. Nicht erst diese Diskussionen führen zu der Frage, ob und wie die rechtliche Situation angepasst werden muss. Dass sich auch Internetnutzer dieser zunehmenden Rolle von Urheberrechten für ihr Leben bewusst sind, zeigt die überdurchschnittlich hohe Beteiligung von Verbrauchern bei der letzten Umfrage der EU zur Urheberrechtsreform.

In der zurückliegenden Legislaturperiode ist Kommissar Barnier angetreten, eine umfassende Urheberrechtsreform anzustoßen. Über Entwürfe für eine Bestandsaufnahme ist er allerdings nicht hinausgekommen und hat das Projekt unvollendet Günther Oettinger hinterlassen. Der gibt sich deutlich ambitionierter und erklärt die Vereinheitlichung des Urheberrechts zu einer seiner Kernprojekte. Bis September will er einen Reformvorschlag vorlegen.

Julia Reda; Foto: Tobias M. Eckrich / Lizenz: CC by

Im Europaparlament federführend für die Urheberrechtsreform: Julia Reda | Foto: Tobias M. Eckrich, Lizenz: CC by

Sehr produktiv zeigt sich auch das Europaparlament. Die junge Abgeordnete Julia Reda hat dem zuständigen Parlamentsausschuss einen Vorschlag vorgelegt, der sich ebenfalls eine Reform des Urheberrechts für das 21. Jahrhundert auf die Fahnen schreibt. Vergleichsweise früh in der Legislaturperiode werden damit die Positionen beider europäischen Institutionen vorliegen, sodass noch genug Raum für eine Diskussion bleibt und eine Reform damit wirklich realistisch erscheint.

Die meisten Änderungsvorschläge von Julia Reda mögen für Internetnutzer erst mal nicht ambitioniert klingen und das unterscheidet sie von Forderungen, mit denen Piraten noch vor einigen Jahren aufgefallen sind. Aber ihre praktische Reichweite ist an einigen Stellen für das Urheberrechtssystem als solches sehr relevant. Insbesondere die verpflichtende Harmonisierung. Für die Nutzer direkt soll eine bessere Verfügbarkeit von digitalen Büchern in Bibliotheken erreicht werden. Und die Schutzfrist soll europaweit auf 50 Jahre nach dem Tod des Urhebers vereinheitlicht werden. Für Deutschland hieße das eine Reduzierung um 20 Jahre.  Ältere Musik, Texte und Bilder könnten also früher ohne Einschränkungen durch das Urheberrecht genutzt werden als heute.

Deutlich komplizierter – aber im Ergebnis spannender – ist der Vorschlag einer neuen offenen Schranke, die an die Regelungen zum “fair use“ angelehnt ist. Man darf eine solche neue Erlaubnis zur Nutzung von Werken nicht überschätzen. Eine Generalerlaubnis zur Nutzung kreativer Werke im Netz wird auch sie nicht werden. Eine solche Vorschrift würde aber vor allem eines leisten: viele neue Konstellationen, die sich durch technischen Fortschritt ergeben, könnten davon abgedeckt werden, ohne dass die langsamen Mühlen des Gesetzgebers jedes Mal wieder anlaufen müssten. Genau das ist übrigens die große Sorge der Kreativwirtschaft.

Auch wenn sie auf den ersten Blick vielleicht nicht so aussehen, sind die Forderungen von Reda also sehr ambitioniert – aber durchaus realistisch und nicht weltfremd. Sie bieten damit eine Basis für eine zwar inkrementelle und nicht revolutionäre, aber auf jeden Fall spürbare Urheberrechtsreform. Auf jeden Fall werden sie einen notwendigen Diskussionsprozess anfeuern. Was Günther Oettinger als Herr des Verfahrens daraus macht, steht noch auf einem anderen Blatt und wird abzuwarten sein. Und ob am Ende tatsächlich eine Urheberrechtsreform für das 21. Jahrhundert steht: mag sein.

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