Es gibt eine Reihe von Projekten in Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen, die von Windows auf Linux als Desktop-Betriebssystem gewechselt sind. Das prominenteste Beispiel ist das LIMUX-Projekt der Stadt München, das aktuell auch wieder diskutiert wird.

Zusammengefasst kann man sagen: Auf dem Desktop bringt’s das Ganze nicht. Und das sage ich als SUSE Linux-Veteran und Chef des Open-Source-Software-Herstellers Open-Xchange. Zu schmerzvoll sind die Umstellungen von vorhandenen Windows- und Visual-Basic-Programmen; zu schmerzvoll die Konvertierungsartefakte, wenn man auf Open/Libre Office wechselt und zu stark der Widerstand gegen Veränderung im Generellen.

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Rafael Laguna
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Ferner beschränken häufig die sehr konservativen Hardware- und Software-Kompatibilitäts-Vorgaben die Einsatzfähigkeit modernerer Anwendungen. Welche moderne Software läuft denn noch mit einem Palm Handy oder auf einem Firefox 3.x – doch das sind reale Anforderungen in Ausschreibungen der öffentlichen Hand.

Auch wird die ganze Plattformdiskussion durch die aktuellen Mobilgeräte ad-absurdum geführt. Konsequenterweise müsste man ja auch den Einsatz von Linux-Handys und -Tablets fordern, doch das traut sich wahrlich keiner – also halten Android und iOS fröhlich Einzug durch die Hintertür (neben dem Palm und Nokia 6150, die es in Behörden scheinbar noch en-masse gibt).

Wesentlich besser könnte man diese Diskussion und den tatsächlichen Umstieg gestalten, wenn man anstatt über das Client- oder Server- Betriebssystem zu diskutieren, die Pflöcke in den grundsätzlichen Anwendungsarchitekturen einschlägt.

Mit den vier folgenden Prinzipien lösen sich viele Probleme (nicht alle!):

  1. Das Benutzerinterface muss ohne Plug-Ins oder anderen Ballast in allen wichtigen modernen Browsern Rafael Lagunaablaufen können, auch auf mobilen Geräten.
  2. Die Anwendungen müssen als Software und in beliebigen Betriebsmodellen zur Verfügung stehen – also vom Betrieb im eigenen Rechenzentrum bis hin zur öffentlichen Cloud, und in allen Varianten dazwischen.
  3. Die Anwendungen und Back-End-Komponenten sollten möglichst als Open-Source-Software verfügbar sein, um Transparenz, Sicherheit, geringere Abhängigkeit und höhere Integrationsfähigkeit sicherzustellen. Das gilt auch für Eigenentwicklungen, insbesondere in Behörden.
  4. Die Anwendungen müssen möglichst offene, als auch sehr weit verbreitete Formate und Protokolle wie ActiveSync, CardDav, CalDav, WebDav, IMAP, OOXML, ODF, usw. unterstützen – und diese möglichst ohne Konvertierungsartefakte oder Kompatibilitätsprobleme implementieren.

Damit kann existierende Hard- und Betriebssystemsoftware weiterverwendet werden, sofern ein einigermaßen aktueller Browser darauf läuft. Neue Hardware kann recht unbekümmert angeschafft werden, und eine höhere Diversität bei der Anschaffung kann akzeptiert werden, bis hin zu „Bring your own device“. Und mit diesem Ansatz funktioniert dann auch ein Linux-Desktop.

Für Altanwendungen gilt: Auch in den Browser verbannen, und sei es mit RDP oder anderen Remote-Desktop-Protokollen. Das ist zwar nicht immer ideal, aber pragmatisch. Nach und nach sollten diese Anwendungen durch neue Versionen ersetzt werden, die direkt im Browser genutzt werden können – weg von Client-Server-Architekturen und hin zu echten Web-Applikationen. Das kann gut und gerne 10 bis 20 Jahre dauern, bis auch die letzte Anwendung weg ist. So ist das nun mal mit „Legacy-Applikationen“, aber das Browser-Zeitalter wird sicher lange genug dauern.

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