Dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) an der europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung deutliche Kritik äußern würde, war nach den Anträgen des Generalanwalts einigermaßen absehbar. Dass das Gericht die Richtlinie jedoch insgesamt für ungültig erklärt, hat die meisten Beobachter überrascht. Zwei Mitgliedsstaaten hatten gegen die Verpflichtung für Telekommunikations- und Internetanbieter geklagt, Verbindungsdaten über ihre Kunden aufzuzeichnen, für einen bestimmten Zeitraum zu speichern und auf Verlangen staatlichen Behörden zur Verfolgung schwerer Straftaten auszuhändigen.

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Mario Rehse
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Dies hält der EuGH in der Tat für zu weit gehend und verlangt in Anbetracht der Grundrechtssensibilität und des Missbrauchsrisikos eine Beschränkung auf das absolut Notwendige. Dabei trifft der EuGH so manche Aussage, die das Konstrukt der anlasslosen Speicherung – also den Kern der Vorratsdatenspeicherung – insgesamt in Frage stellen. So kritisiert der EuGH, dass die Kommunikationsdaten aller Bürger gespeichert werden sollten, ohne spezielle Anhaltspunkte (also z. B. den Verdacht auf eine Straftat). 500 Millionen Europäer werden so unter Generalverdacht gestellt und bei ihnen wird ein Gefühl erzeugt, ständig überwacht zu werden. Zudem wurde eine fehlende Überprüfbarkeit durch Gerichte und eine fehlende Aufsicht durch unabhängige Stellen bemängelt. Der EuGH spricht sich in seinen Ausführungen nicht völlig gegen eine Vorratsdatenspeicherung als solche aus. Gleichwohl hat er die Hürden zu Recht so hoch gelegt, dass man sich teilweise fragen muss, ob irgendeine Ausgestaltung der Vorratsdatenspeicherung dem überhaupt gerecht werden kann.

Für die politische Diskussion in Deutschland ergibt dieses Urteil eine völlig neue Lage. Dadurch dass die Richtlinie in Gänze für unwirksam erklärt wurde, ist die Rechtslage in Deutschland ohne ein entsprechendes Gesetz europarechtskonform. Der bestehende Umsetzungsdruck und die Gefahr etwaiger Strafzahlungen sind damit weggefallen. Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und SPD zwar vereinbart, die Richtlinie umzusetzen. Bundesjustizminister Maas gibt aber zu bedenken, dass mit dem Wegfall der Richtlinie auch für diese Vereinbarung die Grundlage entfallen ist, und kündigt ergebnisoffene Gespräche mit dem Koalitionspartner an. Dieser Ansatz ist ausdrücklich zu begrüßen, denn eine weitere Trial-und-Error-Politik, bei der unverhältnismäßige Gesetze erst durch Gerichte kassiert werden müssen, ist bei einem so sensiblen Thema nicht angemessen.

Das ARD-Nachtmagazin hat sich in unserem Karlsruher Rechenzentrum die ausgediente Anlage zur Vorratsdatenspeicherung angeschaut (ab ca. 13:30).

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