Die Tinte unter dem frisch verabschiedeten Koalitionsvertrag ist noch gar nicht richtig getrocknet,  schon entbrennt ein erster Streit um die Deutungshoheit über denselben. Der Anlass ist ausgerechnet ein netzpolitischer – der Dauerzankapfel Vorratsdatenspeicherung.  Aktuell läuft vor dem EuGH eine Klage gegen die entsprechende EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006.

Zur Erinnerung: Mit der Vorratsdatenspeicherung sollen Telekommunikations- und Internetanbieter verpflichtet werden, Verbindungsdaten über ihre Kunden aufzuzeichnen, für einen bestimmten Zeitraum zu speichern und auf Verlangen staatlichen Behörden zur Verfolgung schwerer Straftaten auszuhändigen. All das mag im Vergleich zu den NSA-Enthüllungen fast schon vernachlässigenswert wirken – gerade aufgrund der Spähaffäre hat die Debatte um die Vorratsdatenspeicherung jetzt aber einen zusätzlichen symbolischen Charakter.

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Mario Rehse
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Im Dezember hatte dazu der Generalanwalt des EuGH Pedro Cruz Villalón seine sogenannten Schlussanträge vorgelegt, in denen er die Richtlinie für unvereinbar mit der Charta der Grundrechte erklärt.  Derlei Schlussanträge sind für das Gericht nicht bindend, lassen aber klare Rückschlüsse auf das Urteil des EuGH zu, da die Spruchkammer dieser Einschätzung in aller Regel folgt. Das eigentliche Urteil wird für die nächsten Monate erwartet.

Für Deutschland stellt sich die Frage, wie mit dieser Situation politisch umzugehen ist, denn hierzulande ist alles noch viel komplizierter. Formal ist Deutschland durch die vorerst weiter geltende Richtlinie nach wie vor verpflichtet, selbst eine Vorratsdatenspeicherung wieder einzuführen. Die erste Fassung des Gesetzes hatte das Bundesverfassungsgericht für unwirksam erklärt.

Im Koalitionsvertrag hatten CDU/CSU und SPD beschlossen, ein neues Gesetz auf den Weg zu bringen. In Anbetracht des laufenden Gerichtsverfahrens hat Justizminister Heiko Maas (SPD) nun indes angekündigt, mit einem erneuten Gesetzgebungsvorschlag auf das Urteil des EuGH warten zu wollen. Beim Koalitionspartner hat das umgehend die eingangs skizzierte Kritik ausgelöst. Dort drängt man auf einen zeitnahen Startschuss für den Gesetzgebungsprozess. Die Vorratsdatenspeicherung scheint zu einer ersten Belastungsprobe für die frische Koalition zu werden. Grund genug, sich die Argumente des Generalanwalts, auf die Justizminister Maas sich beruft, nochmals genauer anzuschauen:

Der Generalanwalt führt tatsächlich gewichtige Gründe für eine Unvereinbarkeit der geltenden EU-Richtlinie  mit dem europäischen Grundrechtekatalog auf. Vor allem sei die pauschale Speicherung für die Dauer von bis zu zwei Jahren unverhältnismäßig und verstoße daher gegen das in der Charta der Grundrechte verbürgte Recht auf Privatsphäre. Zudem fehlten angemessene Rechtsschutzmöglichkeiten. Zwar sei eine Vorratsdatenspeicherung nicht per se unzulässig, die Richtlinie müsse aber zwingend auf EU-Ebene überarbeitet werden. Folgt der EuGH den Anträgen des Generalanwalts – wofür einiges spricht – ist mit einer neuen Richtlinie in Anbetracht der Neuwahlen zum Europäischen Parlament nicht vor 2015 zu rechnen.

Es erscheint daher in der Tat sinnvoll, zumindest das Urteil des EuGH und seine konkreten Vorgaben abzuwarten. In Anbetracht der bereits bestehenden Rechtsunsicherheiten und der deutlichen Kritik von Bundesverfassungsgericht und EuGH-Generalanwalt ist kein Raum für eine Trial-und-Error-Politik auf nationaler Ebene. Der Koalitionsvertrag mag hier eine andere Sprache sprechen, aber er ist eben auch kein Gesetz.

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