Kaum ein Thema der Internetpolitik bewegt die Gemüter so sehr wie die Frage, ob Internetprovider den Zugang zu rechtswidrigen Internetseiten sperren sollten. Dabei kann es um verschiedenste Inhalte gehen; angefangen von Urheberrechten über Online-Glücksspiel bis hin zu Extremismus, Rassismus und Kinderpornografie. Für Deutschland können die entsprechenden gesetzlichen Pläne der letzten großen Koalition in 2009 und die daraufhin entflammte öffentliche Debatte rückblickend als Initialzündung der Internetpolitik begriffen werden.

Immer im Schatten dieser öffentlichen politischen Diskussion stand indes die zahlenmäßig sehr überschaubare gerichtliche Praxis in Deutschland, in der es nicht um Kinderpornografie, sondern in den letzten Jahren vor allem um Urheberrechtsverletzungen und Glücksspiel ging. Hierzu lässt sich feststellen, dass Sperranordnungen gegenüber Internetprovidern mit Ausnahme einiger das Usenet betreffender Sonderfälle von Gerichten stets abgelehnt wurden. Begründet wird dies zum einen mit der geringen Wirksamkeit solcher technischer Ansätze, zum anderen mit der Tatsache, dass für Netzsperren bei Internetprovidern eine eigene „Sperrinfrastruktur“ aufgebaut werden müsste, was als unverhältnismäßig bewertet wird. Gleichzeitig lassen sich jedoch im europäischen Ausland, insbesondere Irland und den Niederlanden auch gegenläufige Tendenzen ausmachen.

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Guido Brinkel
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Bereits seit langem blicken die Juristen daher nach Luxemburg, da wohl nur der Europäische Gerichtshof (EuGH) die derzeit divergierende Rechtspraxis in Europa vereinheitlichen kann. Hierzu zeichnet sich in einem laufenden Verfahren aus Österreich, das eine Sperrung eines bekannten, mittlerweile allerdings gar nicht mehr aktiven Film-Streaming-Portals betrifft, jetzt eine Weichenstellung ab. Ende November hat der sogenannte Generalanwalt am EuGH in diesem Verfahren seine Einschätzung zum Fall veröffentlicht. Diese Stellungnahme geht Urteilen des Gerichtshofs voraus. Üblicherweise folgt der EuGH der Einschätzung des Generalanwalts.

Der Generalanwalt hält in seinen Ausführungen Sperranordnungen gegenüber Providern prinzipiell europarechtlich für möglich, setzt diesen zugleich allerdings auch Grenzen. Laut seiner Einschätzung dürfen Gerichte Internet-Providern zum einen nicht einfach vorschreiben, den Zugang zu einer bestimmten Website zu „sperren“, sondern müssen selbst konkret die technischen Mittel benennen, die dafür eingesetzt werden sollen. Diese vorgeschlagenen Mittel müssen vorher vom Gericht daraufhin überprüft werden, ob Sperrungen anderer Webseiten drohen oder dem Internet-Provider unzumutbare Aufwände entstehen. Diese Fragen sind wiederum dem vom Generalanwalt ausführlich beschriebenen Umstand gegenüberzustellen, dass alle bekannten Systeme sowohl für Internetnutzer als auch Anbieter entsprechender Angebote umgehbar sind.

Fazit:

Die Stellungnahme des Generalanwalts hat nicht ganz zu Unrecht in der Blogosphäre die Warnung vor einer Renaissance der Netzsperren ausgelöst, da hiermit erstmals europarechtlich die prinzipielle Zulässigkeit von Netzsperren signalisiert wird. Übersehen werden darf jedoch nicht, dass die Stellungnahme sehr gewichtige Erwägungen zur Abwägung mit Grundrechten der Internetnutzer als auch der Provider enthält, welche die Zulässigkeit des Instruments sogleich wieder klar beschränken. Die sehr umfangreichen Ausführungen geben also gerade keinen europarechtlichen „Freibrief für Netzsperren“. Rein praktisch ist bereits von Bedeutung, dass Internetprovider gegen Anordnungen, die ein konkretes technisches Sperrverfahren definieren, leichter gerichtlich vorgehen können als gegen Verfügungen, die einfach nur allgemein eine „Sperrung“ fordern.

Die vom Generalanwalt gezogenen Grenzen für Internetsperren sind daher mindestens genauso wichtig wie das Grundsatzsignal einer europarechtlichen Zulässigkeit. Folgt der EuGH der Stellungnahme des Generalanwalts, liegt der Ball zunächst wieder bei den nationalen Gerichten, welche diese Vorgaben umsetzen müssen. Und es darf als sicher gelten, dass die weiteren Details etwaiger Verpflichtungen auf nationaler Ebene im Anschluss Gegenstand neuer Verfahren in Luxemburg sein werden.

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