Am vergangenen Freitag hat der Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition das hochumstrittene Leistungsschutzrecht für Presseverlage im Bundestag beschlossen. Unsere prinzipiellen Bedenken hatten wir schon vor einigen Wochen hier im Blog erläutert. Auch wenn noch die Beratungen im Bundesrat ausstehen, so lohnt doch ein genauerer Blick auf das, was – mit einer bedeutsamen Last-Minute Änderung  im Rechtsausschuss – nun Gesetz werden soll. Damit wird es hier allerdings gleich zwangsläufig etwas juristisch.

Die geänderte zentrale Passage des beschlossenen Gesetzestextes lautet:

[§87 f Abs. 1 UrhG] „Der Hersteller eines Presseerzeugnisses (Presseverleger) hat das ausschließliche Recht, das Presseerzeugnis oder Teile hiervon zu gewerblichen Zwecken öffentlich zugänglich zu machen, es sei denn, es handelt sich um einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte.“

Die Nutzung von Presseartikeln, vor allem aber auch von Teilen hiervon in Suchmaschinen und Aggregatoren soll demnach nur bei Vorliegen einer Lizenz des Verlages erlaubt sein, aber „einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“ werden von eben dieser Lizenzpflicht ausgenommen.

Häh?

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Guido Brinkel
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Nicht wenige fragen mit Recht: Häh? Der Kampf um die Deutungshoheit über diesen politischen Formelkompromiss hat folgerichtig schon in der Schlussberatung im Bundestag begonnen und wird wohl bis zu einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) andauern.

Die Befürworter eines möglichst engen Leistungsschutzrechts sehen die Nutzung der sogenannten Snippets generell als freigestellt an, während die Verlage genau das Gegenteil vertreten, nämlich dass Snippets damit auf keinen Fall gemeint sein können. Schlimmer geht´s offenbar immer – auch beim Gesetzgeber.

Lassen wir die politischen Nebelgranaten aber einmal außen vor und schauen auf die Begründung der Beschlussempfehlung, denn hier liegt der Schlüssel zur Interpretation auslegungsbedürftiger Gesetzesvorschriften. Zwei Passagen lassen aufhorchen. In der ersten geht es um die Frage des Schutzgegenstandes:

„Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit Blick auf das Leistungsschutzrecht für Tonträgerhersteller  (Urteil „Metall auf Metall“ vom 20.11.2008, Az. I ZR 112/06) soll hier gerade keine Anwendung finden.“

Nach der zentralen Aussage dieser Entscheidung genießen im Musikbereich bereits kleinste „Tonfetzen“ urheberrechtlichen Leistungsschutz. Konkret ging es um lediglich zwei Takte des entsprechenden Titels von Kraftwerk, welche von Sabrina Setlur für ein eigenes Stück gesampelt worden waren. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte hierzu erläutert, dass es für den Tonträger-Leistungsschutz generell nicht auf die Qualität oder Länge eines Tonabschnitts ankomme, sondern selbst kürzeste Teile deshalb geschützt seien, weil auch dahinter die Investitionsleistung des Tonträgerherstellers stehe. Der BGH wollte also vor allem klarstellen, dass es nicht darauf ankommt, ob der in Rede stehende „Fetzen“ selbst Urheberrechtsschutz genießt. Der Leistungsschutz für den Musikverlag soll vielmehr bewusst weiter gehen, als der Schutz des jeweiligen Urhebers, also des Autors entsprechender Stücke.

Was heißt dies aber nun für das Presse-Leistungsschutzrecht, für welches ausweislich der Gesetzesbegründung eben diese Grundsätze ja nicht gelten sollen? Zunächst einmal profan, dass kleinste Textteile nicht geschützt werden sollen. Dies steht ja exakt so im Gesetzeswortlaut, wirft aber sofort die Frage auf, wo „kleinst“ aufhört. Nimmt man die Begründung ernst, so läge die Grenze, anders als im Musikbereich, hier exakt an der Stelle, an der ein Textschnipsel selbst aufgrund seiner Einzigartigkeit und kreativer Qualität urheberrechtlich geschützt ist. Die Juristen nennen diese Schwelle Schöpfungshöhe. Diese Interpretation hätte zur Folge, dass den Verlagen im Grunde nicht mehr zustehen würde, als sie heute faktisch schon haben. Denn für die Veröffentlichung von Teilen, die für sich genommen schon urheberrechtlich geschützt sind, benötigt grundsätzlich jeder auch heute schon eine Lizenz. Für eine solche müsste man sich also an die Verlage wenden, die sich typischerweise die Urheberrechte von ihren Autoren abtreten lassen.

Thumbnails und Snippets

Der zweite wichtige Verweis in der Gesetzesbegründung bezieht sich auf zwei weitere BGH-Urteile, nämlich die – unter Juristen nicht unumstrittene Rechtsprechung – zur Bildersuche:

 „Insofern gilt der Rechtsgedanke der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu Vorschaubildern („Vorschaubilder I“, Urteil vom 29.4.2010, AZ I ZR 96/08; “Vorschaubilder II“, Urteil vom 19.10.2010, Az. 140/10).“

Die Kernaussage dieser beiden Entscheidungen lautet wie folgt: Wer Werke ins Internet einstellt, ohne diese technisch gegen übliche und damit erwartbare Nutzungshandlungen Dritter abzusichern, willigt implizit in diese Nutzungen ein. Der BGH sah dabei die Wiedergabe verkleinerter Vorschaubilder in Suchmaschinen als entsprechend üblich an. Folge dieser Auffassung ist demnach, dass Rechtsinhaber technische Maßnahmen ergreifen müssen, wollen sie solche Nutzungen in Suchmaschinen verhindern.

Die Übertragung dieser Grundsätze auf das Presse-Leistungsschutzrecht ist vom Gesetzgeber ausdrücklich gewollt. Damit ergibt sich, dass auch Presseverlage die Nutzung von Teilen ihrer Artikel in Snippets hinnehmen müssen, solange sie keine technischen Schutzmaßnahmen unternommen haben, um eben dies zu verhindern. Denn angesichts der zentralen Bedeutung von Suchmaschinen für die Orientierung im Netz wird man die Verwendung von Snippets in der Textsuche als mindestens so üblich und erwartbar wie die Einbindung von Vorschaubildern in der Bildersuche bewerten können.

Fazit

Nimmt man die Gesetzesbegründung ernst, lautet das Ergebnis: Teile von Presseerzeugnissen werden vom Leistungsschutzrecht erst dann erfasst, wenn sie selbst urheberrechtliche Schöpfungshöhe erreichen. Selbst wenn dies der Fall ist, können Suchmaschinen und Aggregatoren weiterhin Snippets nutzen, solange der Presseverlag nicht eben jene Nutzung technisch unterbunden hat, was z.B. über das entsprechende Signal „nosnippet“ in der sog. robots.txt möglich wäre.

Trotz aller politischer Nebelschwaden und Zankereien: Die Gesetzesbegründung bietet durchaus die Mittel für eine eindeutige Auslegung. Freilich geht der Kampf um das Presse-Leistungsschutzrecht damit politisch aus wie das Hornberger Schießen: Die Verlage bekommen nach vier Jahren Getöse das, was sie sowieso längst haben.

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