Was ist das liebste Kind der Deutschen? Nicht mehr nur das Auto. Leser des 1&1 Blogs wird das nicht überraschen können, und auch den unterschiedlichsten Umfragen nach finden seit Jahren mehr und mehr Menschen ihren Internet-Zugang wichtiger als einen PKW. Seit gestern ist aber sogar höchstrichterlich und rechtskräftig festgestellt: Das Internet hat

 „sich zu einem die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium entwickelt“.

 Für durchschnittliche Verbraucher in Deutschland ist seine

 „ständige Verfügbarkeit seit längerer Zeit auch im privaten Bereich für die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise von zentraler Bedeutung“.

Ein historischer Tag. Der Bundesgerichtshof zählt damit die ständige Verfügbarkeit des Internets zu den elementarsten Bedürfnissen, auf einer Ebene mit dem Dach über dem Kopf – oder eben (bisher, oder vielleicht: noch) dem Auto.

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Elmar Kloss
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Ein hohes Lob – und ein großer Ansporn – natürlich auch für alle, die dafür arbeiten, die „materiale Grundlage der Lebenshaltung“ der Deutschen zu erbringen.

Umso schwieriger wird es in Deutschland für Interessengruppen werden, die freie Internetnutzung einzuschränken oder gar das Internet für einzelne Anschlüsse ganz abzuschalten, wenn vielleicht einmal ein Teil des „die Lebensgestaltung eines Großteils der Bevölkerung entscheidend mitprägenden Medium“ in einem unerwünschten Bereich liegen könnte.

Das wäre nun so, wie die ganze Familie auf die Straße zu setzen, weil Papa falsch geparkt hat.

Ansonsten ist das aktuelle Urteil eigentlich eher etwas für Fach-Diskussionen unter Juristen. Einigkeit zwischen den Gelehrten bestand in der mündlichen Verhandlung: Mit diesem Urteil wird für Jahrzehnte die juristische Staatsprüfung bereichert. Wer den folgenden Satz nicht auf Anhieb versteht, sollte deswegen nicht zu sehr an sich zweifeln: Rechtswissenschaftlich sensationell ist wirklich die Ausdehnung der sogenannten „Nutzungsausfallentschädigung“ weg von Einschränkungen des Eigentums hin auf eine Gewährleistung für Dienstleistungen.

Praktisch dagegen ändert sich für Internetnutzer nichts. Schon immer galt: Wenn der DSL-Provider über längere Zeit nicht leistet, kann der Kunde ggf. Schadenersatz geltend machen – konkret die Mehrkosten eines zusätzlichen mobilen Internet-Zugangs (wobei eine schon vorhandene „mobile-flat“ naturgemäß keine „Mehrkosten“ verursacht).

Neu für das Internet ist nur, was vom Auto während der Reparatur eines Unfallschadens schon lange gilt: Rein „fiktive Kosten“ kann abrechnen, wer während der Reparatur des Anschlusses auf einen Internet-Zugang als „Unfall-Ersatzwagen“ ganz verzichtet.

Nur – welcher Internetnutzer würde das tun?

Diese fiktiven Kosten sind außerdem ziemlich komplex zu berechnen, der Bundesgerichtshof schickt die Akte dafür an das Landgericht zurück. Wie der BGH „vereinfacht“ für die Presse formuliert hat, sind Maßstab die

„marktüblichen, durchschnittlichen Kosten (…), die in dem betreffenden Zeitraum für die Bereitstellung eines DSL-Anschlusses mit der vereinbarten Kapazität ohne Telefon- und Faxnutzung angefallen wären, bereinigt um die auf Gewinnerzielung gerichteten und sonstigen, eine erwerbwirtschaftliche Nutzung betreffenden Wertfaktoren“.

Auf deutsch: Beim PKW sind das in der Regel etwa 60 Prozent der Kosten eines identischen Mietwagens, für einen DSL-Zugang wären es demnach allenfalls 40 Cent pro Tag (und natürlich erst nach Ausschöpfung des vereinbarten Service Level).

Der Kläger in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall bekommt damit vielleicht 23 Euro. Das wird den Aufwand nur selten wert sein.

Elmar Kloss ist Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz und Fachanwalt für IT-Recht in der Koblenzer Kanzlei Dr. Caspers, Mock & Partner.
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