Während in der Blogosphäre nach dem US-Gesetzesvorschlag SOPA noch heftig das völkerrechtliche „Anti-Counterfeiting Trade Agreement“ (ACTA) diskutiert wird, scheint – quasi im Windschatten der ACTA-Proteste – hierzulande gerade eine eigenständige Debatte zum Urheberrecht im Netz wiederbelebt zu werden. Am vergangenen Freitag wurde eine juristische Einschätzung der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht veröffentlicht, die sich ganz konkret mit der Einführung von urheberrechtlichen Warnhinweisen von Zugangsprovidern gegenüber ihren Kunden, landläufig gerne als „Two- bzw. Three-Strikes-Modelle“ bezeichnet, beschäftigt.
Die vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Studie hält im Ergebnis das „Modell der vorgerichtlichen Mitwirkung der Zugangsanbieter […] vor dem Hintergrund des internationalen und europäischen Rechtsrahmens [für] zulässig“. Das Ministerium will nun darauf aufbauend „den Dialog mit den Beteiligten aufnehmen“ und „noch im ersten Halbjahr 2012 zu einer Entscheidung“ kommen. Es könnten also für Deutschland plötzlich Fakten geschaffen werden, während anderswo die Protestwelle gegen ACTA gerade von den Blogs auf die Straßen schwappt. Grund genug, hier nochmals zu erläutern, was hinter diesen sog. Two- bzw. Three-Strikes Modellen steht und welchen Bedenken sie begegnen.
Worum geht es überhaupt? Die Verfechter sogenannter Warnmodelle bzw. des Three-Strikes Ansatzes im Urheberrecht möchten Internet-Service-Provider dazu zu verpflichten, gewissermaßen auf „Zuruf“ von Rechteverwertern ihren Kunden Warnhinweise wegen vemeintlicher Urheberrechtsverletzungen zu senden. Dies wäre die erste Stufe eines jeden solchen Modells. Je nach genauer Ausgestaltung sollen darauf aufbauend weitere Sanktionen bis hin zu einer Drosselung oder Sperrung des Internetanschlusses folgen. Das von der jüngsten Studie jetzt im Ergebnis präferierte Modell sieht zumindest solche Warnhinweise der ISP vor und will diese auch verpflichten, Listen zu führen, um „Wiederholungstäter“ zu identifizieren und deren Namen an die Rechteverwerter zu übermitteln.
Die Internetserviceprovider in Deutschland, auch wir als 1&1, wehren sich schon seit langem gegen diese Modelle – wie immer sie im Einzelnen auch aussehen. Denn mit ihrer Umsetzung wäre ein dreifacher Paradigmenwechsel verbunden:
- Erstens führen die Modelle in eine Art Privatisierung der Rechtsverfolgung. Internetserviceprovider müssten ohne eigene Prüfungsmöglichkeit, ob der Vorwurf der Urheberrechtsverletzung berechtigt ist und vor allem ohne formalisiertes rechtliches Verfahren, also auch ohne Rechtsbehelfe für die Nutzer ihren eigenen Kunden gegenüber Warnungen aussprechen oder gar weitergehende Maßnahmen ergreifen.
- Zweitens stellen diese Modelle generell die ausgeglichenen Regeln zur Verantwortlichkeit technischer Internetdienstleister in Frage, wie sie durch die europäische E-Commerce-Richtlinie und das deutsche Telemediengesetz definiert sind. Provider sollen so gewissermaßen zu privaten Gatekeepern des Rechts umfunktioniert werden. Die bislang rechtlich abgesicherte und für das freie Netz so wichtige neutrale Rolle der Access-Provider wäre Geschichte.
- Drittens würde ein solches Modell mit seinen neuen Speicher- und Meldepflichten für ISPs grundlegende Prinzipien des Datenschutzes in Frage stellen. Den Provider hat es gerade nicht zu interessieren, zu welchen Zwecken und für welche Inhalte seine Dienste genutzt werden, und eine Speicherung von Nutzungsverhalten auf einfachen Zuruf privater Dritter steht den fundamentalen Prinzipien von Datenvermeidung und Datensparsamkeit diametral entgegen.
Ein häufig zu hörendes Argument der Befürworter geht dahin, dass durch Warnmodelle den Nutzern teure Abmahnungen erspart blieben. Auch das eingangs zitierte Gutachten greift diesen Argumentationspfad auf (S. 338). Offen bleibt freilich, warum nicht die Rechteverwerter selbst diesen Weg bei der Nutzeransprache wählen statt gleich teure Rechnungen schicken zu lassen. Diese Möglichkeit stünde ihnen auf Basis des bestehenden urheberrechtlichen Auskunftsanspruchs längst zur Verfügung. Vor allem adressiert dieses Argument aber auch nicht die viel grundlegenderen Bedenken, die wir oben geschildert haben.
Und schließlich ist auch die Wirksamkeit solcher Modelle höchst fraglich: Two-Strikes & Three-Strikes sind Vorschläge aus einer Zeit, in der in allererster Linie dezentrale Peer-to-Peer-Tauschbörsen von der Verwerterseite als vermeintliche Totengräber ihrer Geschäftsmodelle bekämpft wurden. Doch die Zeiten ändern sich – das zeigt gerade das Beispiel Megaupload. Heute dominieren eher serverbasierte Streaming-Portale die Szene. Two- und Three-Strikes-Modelle gehen hier aber von Vornherein ins Leere, weil sie ein „flächendeckendes Auslesen“ der IP-Adresse durch die Rechteinhaber voraussetzen, das bei solchen Portal-Modellen gar nicht möglich ist.
Es besteht also die Gefahr, dass am Ende des geplanten „Dialogs mit allen Beteiligten“ auch noch kollektiv die falsche Tür bewacht wird – um den hohen Preis von Nutzerfreiheit, Datenschutz und der neutralen Rolle der Internet-Service Provider.
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