Selten hatten Vergleiche mit der Stadt Kiel so einen hohen Glamour-Faktor wie in den letzten Monaten. Nicht weniger als das deutsche Las Vegas entstehe dort gerade durfte man verschiedentlich lesen. Dahinter stecken weder spektakuläre Hotelbebauungspläne in der Kieler Innenstadt, noch droht der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt akut die Verwüstung. Der Anlass für die Vergleiche trägt stattdessen einen eher sperrigen Namen: Gesetz zur Neuordnung des Glücksspiels.

Was also ist passiert? Seit Jahren stören sich die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof daran, wie in Deutschland der Glücksspielmarkt organisiert und reguliert ist – nämlich als strikt staatliches Monopol für den Lotto- und Sportwettenmarkt. Die zuständigen Bundesländer argumentieren stets mit Suchtprävention und Spielerschutz – und kassieren mit Lotto und Oddset Milliarden. Verboten ist seit 2008 nicht zuletzt jegliches Internetglücksspiel, was zu einem florierenden Graumarkt geführt und einigen Internet-Zugangsanbietern sogar Sperrverfügungen für Webseiten beschert hat – allen politischen Entwicklungen um die Netzsperren zum Trotz.

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Guido Brinkel
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Kommission und EuGH werfen den Ländern vor, mit dem Monopol in Wahrheit ihre immensen Einnahmen sichern zu wollen. Moniert wird auch die Tatsache, dass ausgerechnet die Spielform mit der empirisch belegt größten Suchtgefahr, das Automatenspiel, kaum Beschränkungen unterliegt. Hier gibt es kein staatliches Monopol – denn zuständig ist der Bund.

Nachdem der EuGH im September 2010 den geltenden Glücksspielstaatsvertrag  für europarechtwidrig erklärt hatte, müssen die Länder reagieren – und beraten nun erneut über ein neues Glücksspielrecht. Heute wollen die Ministerpräsidenten nun einen neuen Glücksspielstaatsvertrag beschließen. Geht es also nach der ganz großen Mehrheit der Bundesländer wird sich ab 2012 nur wenig ändern: Das Veranstaltungs-Monopol für Lotto soll erhalten bleiben. Private Lotto-Vermittler im Internet werden auf Druck Brüssels nun zwar wieder zugelassen. Sie müssen aber nach den aktuellen Plänen mit einem zentralen Webangebot der staatlichen Anstalten konkurrieren – allen kartellrechtlichen Bedenken zum Trotz. Und auch private Sportwettenanbieter sollen lediglich im Rahmen einer „Experimentierklausel“ mit zeitlicher Begrenzung agieren dürfen.

Wettbewerb und Liberalisierung sehen anders aus. Damit bleibe auch in Zukunft die Gefahr, dass Milliarden in unregulierte Grau- und Schwarzmärkte ohne jeden Spielerschutz fließen werden. Der vermeintliche Regelungszweck würde also verfehlt. Ebenso darf man ahnen, dass auch das neue Recht den EuGH und die Kommission beschäftigen wird.

Immerhin - einen auch für uns bei 1&1 wichtigen Lichtblick gibt es: Die Pläne für eine erweiterte Befugnis zu Anordnung von Netzsperren sind vorerst vom Tisch. Die bereits geltenden allgemeinen Befugnisse sollen aber bestehen bleiben. Es bleibt zu hoffen, dass die Aufsichtsbehörden trotzdem das politische Signal gegen die Sperren verstehen.  Wir halten Netzsperren nach wie vor für ein gefährliches Instrument – egal für welchen Zweck.

Und was hat das mit Kiel zu tun? Dort probt seit Monaten die Landesregierung den Aufstand – mit dem eingangs genannten Gesetz. Das will zwar auch das Lottoveranstaltungsmonopol erhalten. Aber zumindest Lottovermittlung und Sportwetten im Netz sollen in geordnete private Bahnen gelenkt werden. Mitte September hat der Landtag dieses Gesetz beschlossen und ist damit aus der Tradition gemeinsamer Staatsverträge der Länder ausgeschert – ein Novum in der Geschichte des Föderalismus.

Wird also Kiel das deutsche Online-Las Vegas? Das könnte von einem weiteren Streitpunkt unter den Ländern abhängen. Denn völlig offen ist die Frage, ob Anbieter aus Schleswig Holstein künftig ihre Services aufgrund des Landesgesetzes auch bundesweit anbieten dürfen. Die anderen Länder meinen: nein. Sie sondieren Lösungen, wie dies verhindert werden kann. Und so landet man wieder bei Sperren. Oder genauer: Bei Geoblocking , Netzsperren oder der Sperrung von Zahlungsdiensten – entlang der schleswig-holsteinischen Landesgrenze wohlbemerkt! Neuer Streit ist also jetzt schon vorprogrammiert.

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