Die Webcam feiert Geburtstag: Vor 20 Jahren schickte die erste Live-Kamera ein Foto auf die Reise ins Netz der Universität Cambridge. Was sich Informatiker 1991 anschauten, wem das Web erstmals live beim Sex zuschauen durfte und welche Webcams echte Dauerbrenner wurden, verraten 10 Lieblings-Webcam-Geschichten im 1&1 Blog.

1. Am Anfang war eine Kaffeemaschine. Sie stand im Flur vor dem sogenannten Trojan-Room des Computerlabors der englischen Universität Cambridge. 15 Informatiker gehörten zum Kaffee-Club, der sich die kleine Maschine des deutschen Haushaltgeräteherstellers Krups teilte. Nach durcharbeiteter Nacht schlurften sie mit ihren Kaffeetassen durch weitläufige Flure und Treppenhäuser der Uni. Ihr Kaffeverbrauch war hoch, die Maschine langsam. Doch statt frisch gebrühtem Kaffee erwartete sie oft eine leere Kanne.

Das war der Moment, als die Geburtsstunde der Webcam schlug. Ein ungenutzter PC wurde mit einer Kamera verbunden, und in nur einem Tag schrieb Paul Jardetzky die Server-Anwendung und Quentin Stafford-Fraser die Client Software XCoffee.  1993 wurde die Kamera mit dem Internet verbunden, sodass sich nun Internetnutzer in aller Welt über den aktuellen Füllstatus informieren konnten. Am 22. August 2001 um 9:54 Uhr GMT wurde die Maschine ausgemustert. Sie fand danach übrigens ihren Weg zurück nach Deutschland: Der Spiegel-Verlag erwarb sie in einer Auktion für 10.452,72 Mark und ließ sie vom Hersteller Krups reparieren. Wer sich die Maschine anschauen möchte, findet sie heute auf Spiegel-Online.

Kaffeemaschine beim Spiegel
Kaffeemaschine beim Spiegel

Quentin Stafford-Fraser sagte 2001 im SPON-Interview, „Irgendjemand hat mal gesagt, dass Internet-Jahre so wie Hundejahre sind, weil im Netz so viel passiert. Demnach wäre die Kaffeekanne jetzt siebzig - und könnte in Frieden in Rente gehen.“

2. Inspiriert von der Kaffeemaschine wurde auch eine der ältesten deutschen Webcams. Techniker beim Webhosting-Pionier Schlund + Partner in Karlsruhe richteten sie 1997 auf das Symbol der New-Economy: Den Kicker-Tisch. So ließ sich am Arbeitsplatz rasch feststellen, ob es sich lohnt, die Arbeit für ein entspannendes Match zu unterbrechen. Eine Innovation im Kundenservice waren weitere Kameras, welche rund um die Uhr Entwicklerbüros, den Support sowie das Rechenzentrum Erbprinzenstraße zeigten. Bis 2003 (im Camcat Katalog noch zu finden mit totem Link ) erhielten die Kunden von Schlund und 1&1 (die Firmen fusionierten 1999) so über das Internet Einblick in den Betriebsablauf. Amüsantes technisches Detail: Weil sich die Webcams bei Dauerbetrieb alle paar Stunden aufhängten, unterbrach eine Baumarkt-Zeitschaltuhr turnusmäßig den Strom, damit sie neu starteten. Der Umzug des Rechenzentrums zur Brauerstraße wurde ebenfalls im Web übertragen. Einige der Webcams liefen noch bis 2007, bis auch sie „mit 70“ in Rente gingen.

Umzug des Rechenzentrums
Umzug des Rechenzentrums

3. Geschichte ist heute die JenniCam. Sie filmte das Leben des ersten Webcam-Girls Jennifer Ringley. Den Schritt aus dem Privaten ins Netz-Öffentliche vollzog die 19-jährige College-Studentin 1996 radikal. Sie nutzte die Webcam als Tagebuchersatz, nur dass jeder Internet-Nutzer zuschauen konnte. Jenni ließ das Web 24 Stunden 7 Tage die Woche an ihrem Leben teilhaben. Das Lifecasting war 1996 eine absolute Neuheit und wesentlich aufregender als der Füllgrad einer Krups-Kaffeemaschine. Vor allem, da Jenni selbst intime Aufnahmen unzensiert ließ. Nackt-, Masturbations- und Sex-Szenen brachten ihr bis zu 100 Millionen Visits im Jahr ein, den Vorwurf der Pornographie sowie wahrscheinlich ewigen Netzruhm. Den Studenten-Jux vermarktete sie später mit 15-Dollar-Abonnements pro Quartal. JenniCam ging 2003 offline, nachdem ihr Zahlungssystem Paypal allen kündigte, die Nacktszenen zeigten. Dass abgehängte Jenni-Fans zum Boykott gegen den Zahlungsanbieter aufriefen wie derzeit nach der Wikileaks-Zahlungssperre, ist nicht überliefert.

JenniCam fand zahlreiche Nachahmer. Ana Voog, die nur ein Jahr nach Jennifer Ringley ihr anacam Projekt startete, ergänzte ihre Webseite bereits 1997 mit einem Blog und publizierte dort auch Gedichte, Gemälde, Videos und Fotografien. Ihre Webcam war genau zwölf Jahre online. Viele weniger niveauvolle sind gefolgt.

4. Die Idee des Lifecastings überlebte, die Aufregung darüber hat sich gelegt. Lifecasting wurde auf neue Beobachtungsobjekte übertragen, beispielsweise Haustiere. DollyCam war angeblich täglich von 10 bis 20 Uhr Deutschlands erster Schäferhund live im Web. Der Unterhaltungswert dieser Angebote war jedoch oft begrenzt. Sei es aufgrund der Lebenserwartung des Haustieres oder mangels Besucher - viele dieser Angebote wie auch das Meerschwein-TV sind heute offline.

Webcam für Haustiere
Webcam für Haustiere

5. Erfolg haben heute unterhaltsame oder spannende Geschichten wie die Webcam der "New York Times", die auf ein Falkennest im zwölften Stock eines New York Hochhauses gerichtet ist. Die ganze Welt schaute zu, als sich Anfang Mai 2011 ein flauschiger junger Falke aus einem der drei Eier schälte. Die Zuschauer bangten um das putzige Federknäuel, nachdem Fachleute der Brut des Großstadt-Falkenpaares Violet und Bobby keine Chance gegeben hatten. Letztens stand bei Falkens übrigens Ratte auf dem Speiseplan.

6. Nicht alle Webcams können das versprochene Beobachtungsobjekt zeigen. So ist trotz rund um die Uhr sendender Webcam im schottischen Loch-Ness bisher immer noch kein Ungeheuer gesichtet worden.

7. Skeptiker mag das nicht verwundern. Vor allem, da es im Web für viele Phänomene eine logische Erklärung für die täuschende Erscheinung des Anscheinenden gibt. Mit Anschein und Voyeurismus spielt die Video überwachte Toilette im Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM). Die Kamera suggeriert ein Bild der wirklichen Toilette – erst im stillen Örtchen offenbart sich, dass die Kamera auf ein Modell gerichtet ist. So viel Feingefühl fehlt perversen Spannern offensichtlich, die ihre Webcam heimlich in öffentlichen Toiletten montieren. Wiederholt wurden in den vergangenen Jahren immer wieder bislang unbescholtene Männer deswegen verhaftet. Das Strafmaß von bis zu einem Jahr Haft schreckte offenbar einen 40 Jahre alten Mann in Straßburg nicht, der 2010 Frauen auf der Toilette eines Restaurants gefilmt hatte. Er wurde ertappt, als er zehn Tage hintereinander die Toilette besuchte.  2007 war bereits der Informatikbeauftragte der nordfranzösischen Kleinstadt Hérouville-Saint-Clair in die Schlagzeilen geraten. Der 30-jährige Beamte und Familienvater hatte auf der Damentoilette des Rathauses Kolleginnen per Webcam gefilmt und die Videos ins Internet gestellt.  Der Mann flog natürlich auch aus seinem Job.

8. Und wer nicht fliegt, der fliegt. Vielleicht nach Helgoland. Hier ist jedenfalls einer der Flughäfen, dessen zugegeben beschaulicher Flugverkehr sich im Web beobachten lässt.

9. Wer von Deutschlands einziger Hochseeinsel abhebt, will vielleicht ganz nach oben. Zur Zugspitze, oder in Deutschlands ersten rundum überwachten Ort. Oberstaufen im Allgäu war 2010 der erste Ort in Deutschland, die über „Google Street View“ betrachtet werden konnte.  Webcams haben die Allgäuer schon lange: „Ob man wissen möchte, wie das Wetter wird oder ob man sich vor dem Urlaub einen ersten Eindruck verschaffen will – die zehn Webcams liefern Live-Bilder von verschiedenen Plätzen in und um Oberstaufen und helfen bei Deiner Planung.“

Webcam von der Zugspitze
Webcam von der Zugspitze

10. Damit endet unsere Reise durch die Welt der Webcams. Wem von all dem der Kopf raucht - und wo Rauch ist, ist bekanntlich auch Feuer - dem sei das interaktive Angebot der Feuerwehr Essen empfohlen: „Wir sind Ihre Rettung!“. Im Jubiläumsjahr hier zu sehen.

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