Derzeit ist im Netz ein überarbeiteter Stand des Jugendmedienschutzstaatsvertrages (JMStV) vom 18.02.2010  verfügbar. Wir hatten den Ausgangsentwurf bereits kommentiert, und die Einschätzung aus der Anhörung zum Entwurf scheint sich zu bestätigen, dass eine weitere Beteiligung der breiten Öffentlichkeit nicht mehr vorgesehen  ist. Wir kommentieren daher hier den letzten Stand des Entwurfes.

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Saskia Franz
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1.         In vielen Stellungnahmen zum vorhergehenden Entwurf wurde die Ausweitung des Anbieterbegriffs und eine damit ggf. zusammenhängende Ausdehnung der Verantwortlichkeiten nach dem JMStV auf Host- und Zugangsprovider kritisiert.  Entsprechende politische Initiativen gab es im Vorfeld ja insbesondere auch von der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), die als Zentralorgan der Länder für den Jugendmedienschutz das Internet beaufsichtigt. Die KJM hatte hier zuletzt Netzsperren durch Zugangsprovider als probates Mittel des Jugendmedienschutzes propagiert.

Mit dem neuen Änderungsentwurf rudern die Bundesländer jetzt beim Anbieterbegriff wieder zurück. Es dürfte der vielfältigen und anhaltenden Kritik zu verdanken sein, dass es hier einen politischen Paradigmenwechsel nicht geben wird. Es ist also als Erfolg zu werten, dass die Ausweitung des Anbieterbegriffs zurückgenommen wurde.

2.         Der neue JMStV-E geht zurück zum alten Anbieterbegriff, der schlicht lautet: Telemedien-Anbieter ist, wer Telemedien anbietet. Nun tragen Tautologien wenig zur Erhellung bei. Und folgerichtig gab es schon bei diesem alten Anbieterbegriff die Auffassung, Zugangsprovider seien vom Anbieterbegriff umfasst. Nun, als Zugangsprovider betrachten wir uns nicht als „Anbieter“ zum Beispiel des Angebotes unter http://www.kjm-online.de . Aber diesen rechtlichen Streitpunkt einmal außen vor gelassen: Wäre es nicht Aufgabe der Länder, klar und unmissverständlich zu definieren, wer nach dem JMStV welche Verantwortung trägt? Und wäre dabei nicht auch klar zwischen unterschiedlichen Internet-Anbietern zu differenzieren (Inhalteanbieter, Anbieter für User-generated Content, Hostprovider und Zugangsprovider). Die Länder sind bei der Neufassung des JMStV offensichtlich davor zurückgeschreckt, klare Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu definieren.

3.         Zugangsvermittler sollen nach dem JMStV-E Jugendschutzprogramme anbieten. Im Rahmen der Gespräche am „Runden Tisch“ haben sich Branchenverbände und Zugangsprovider bereits im letzten Sommer bereit erklärt, entsprechende Programme zu distribuieren. Eine gesetzliche Regelung ist hier deshalb unnötig. Eine gesetzliche Verschärfung zu Punkten, die keiner Regelung bedürfen, führt die Zusammenarbeit am „Runden Tisch“ ad absurdum und macht darüber hinaus gehende freiwillige Lösungen obsolet.

Im Übrigen: Warum sollen überhaupt mit der Einführung dieser gesetzlichen Regelung Access-Provider durch die Hintertür in die Pflicht genommen werden? Es deutet sich an, dass die politische Initiative einiger Akteure letztlich auf den von der KJM geforderten netzseitigen Jugendschutzfilter beim Zugangsprovider zielt. Jugendschutzprogramme, die beim Zugangsprovider netzwerkseitig filtern, sind aber das Gegenteil einer nutzerautonomen Lösung.

4.         Nun ist bereits heute klar, dass die vorgesehene Verpflichtung, Jugendschutzprogramme anzubieten, aktuell gar nicht erfüllt werden kann. Bis heute nämlich hat die bereits im Gesetz von 2003 vorgesehene Instanz KJM kein einziges Jugendschutzprogramm anerkannt und damit ihre Funktion klar verfehlt. Wofür aber ist eine Regelung gedacht, von der klar ist, dass sie nicht eingehalten werden kann?

5.         Wenn die Situation sich auch durch die modifizierte "regulierte Selbstregulierung" mit dem Tandem FSM und KJM nicht ändern sollte, am Markt also keine von der KJM anerkannten Jugendschutzprogramme verfügbar sind, kommen dann doch wieder Netzsperren, die ja ohnehin bereits von der KJM gefordert wurden, auf die Tagesordnung.

6.         Kontroll- und Überwachungspflichten für Host-Provider, und abgestuft auch für Web-2.0-Anbieter, sind inakzeptabel und nicht einzuhalten. Zeitbeschränkungen und Zugangssysteme sind nur für eine verschwindend geringe Minderheit der Internet-Angebote akzeptable Lösungen (so professionelle Anbieter von Paid-Content mit lokalem Markt in Deutschland). Wer sonst entwicklungsbeeinträchtigende Angebote vorhält, muss auf das Labelling zurückgreifen. Welchen Sinn aber macht überhaupt ein Labelling, wenn es keine anerkannten Jugendschutzprogramme gibt, die die Kennzeichnung nutzen? Ausländische Angebote, die wohl sämtlich nicht gelabelt sind, könnten dem (möglicherweise netzwerkseitig implementierten) Jugendschutzfilter zum Opfer fallen.

7.         Eine Ausnahme für nicht kommerziell handelnde Content-Anbieter ist nicht vorgesehen, so dass diese ebenfalls für jegliche Inhalte wie Kommentare und Trackbacks verantwortlich bleiben. Um für das Labelling konform dem JMStV auf der sicheren Seite zu sein, muss sich selbst dieser private Anbieter  einer anerkannten Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle unterwerfen. Eine anerkannte Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle privater Multimediaanbieter gibt es nicht. Die FSM e. V., die sich selbst als Selbstkontrollorgan von Verbänden und Wirtschaft sieht, kommt wohl nicht in Frage.

Fazit:

Festzuhalten bleibt als Ergebnis auch des zweiten Änderungsentwurfs zum JMStV eine Überforderung des gesetzgeberischen Anspruchs beim Jugendmedienschutz, verbunden mit gleichzeitigem Wildwuchs der Verantwortlichkeiten. Der JMStV-E will zuviel von zuvielen.

Ob und inwiefern sich die genannten Risiken, die auch im neuen JMStV-Entwurf enthalten sind, auswirken werden, wird – wie in der Vergangenheit auch – der gelebten Praxis vorbehalten bleiben. Mehr Realismus und ein besserer Sinn für das Sinnvolle und Machbare beim Jugendschutz im Internet lassen wohl weiter auf sich warten.

Auch zum Thema:

http://carta.info/23107/jmstv-keine-netzsperren-keine-entwarnung/
http://www.internet-law.de/2010/02/was-ist-dran-am-kindernet.html

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