Im Jahre des Herren 1991 am 6. August, 437 Jahre nach Drucklegung der ersten Gutenberg-Bibel des Mainzers Johannes Gensfleisch, wurde das World-Wide-Web zur weltweiten allgemeinen Benutzung freigegeben.

Die Gutenbergsche Erfindung ermöglichte 1605 die erste Zeitung und trug zur schnellen Verbreitung neuer Ideen, zur Blüte der Wissenschaften und zu gesellschaftlichen Umbrüchen bei. Gegen manche Vorbehalte setzte sich die neue Technologie rasch durch. Der Lobby der Buchdruck-Gegner gelang nur im osmanischen Reich ein immerhin 237 Jahre währender Achtungs-Erfolg, als Sultan Bayezid II. 1483 das Drucken auf Arabisch bei Todesstrafe verbot. Im Abendland hingegen entstand mit Druckereien und Verlagen eine neue Industrie, die tausende neuer Arbeitsplätze schuf und die – tragisch zugleich - die angesehenen Berufe der Schreiber und Kopisten fast völlig auslöschte.

Wie es mit großartigen menschlichen Einfällen stets der Fall ist, so führte auch Gutenbergs Erfindung nicht nur zum Guten. Nur 30 Jahre später erschien der in 29 Auflagen verbreitete „Hexenhammer“, von Hitlers „Mein Kampf“ wurden bis 1945 über 10 Millionen Exemplare gedruckt. Doch selbst Aber-Millionen weiterer Schund- und Schmutzdruckwerke vermochten den uneingeschränkten Erfolg des Buchdruckes nicht zu beflecken.

Das World-Wide-Web ermöglicht uns heute nahezu in Echtzeit den freien und weltweiten Austausch von Nachrichten und neuen Ideen. Es fördert die wissenschaftliche Zusammenarbeit der weltweit hellsten Köpfe des Planeten. Totalitäre Regierungen fürchten sich vor der emanzipatorischen Kraft des weltumspannenden Netzes. 18 Jahre nach dem Startschuss arbeiten allein in Deutschland bereits über 200.000 Menschen in den vielfältigen Betrieben einer Internet-Industrie. Zugleich bedrängt die Lobby gerade noch allmächtiger Großverlage und weltbeherrschender Unterhaltungskonzerne nun Parlamentarier, neue Gesetze und Strafen zum Schutz ihrer angesehenen Berufe zu erlassen.

Nicht nur deswegen spüren viele Bürger auch Unsicherheit über die neue Erfindung Internet. Nach einer Phase der Euphorie, nach gefeierten Schulen-ans-Netz-Initiativen und geplatzten Börsenträumen, nach Berichten über Terroristen und Kinderschändern im Internet, stehen wir vor der Frage: Wer trägt eigentlich die Verantwortung für die digitale Revolution?

So stoßen wir im World-Wide-Web plötzlich auf Dinge, die wir gerne ausgeblendet hätten, erfahren wir über Schrecken, die uns nicht bewusst waren oder die wir lieber nicht hätten wissen wollen. Propheten treten auf, beschreiben die Schrecken mit grausender Stimme und raunen, das Netz stifte die Menschen zum Unheil an. Es sei die Wurzel des Übels, das es auszumerzen gelte, das die Obrigkeit zu zähmen habe.

Dabei ist das Netz neutral, so wie der Buchdruck gänzlich neutral ist zu den durch ihn verbreiteten Ideen. Die Hexenverfolgung wurde nicht durch den Buchdruck ermöglicht. Das Grauen und Verbrechen, die Lüge und die List, Kinderpornographie und Jugendgewalt sind nicht durch das Internet entstanden. Allein, das Internet mit all seinen Aber-Millionen Webseiten, den guten wie den schlechten, hält unserer globalisierten Welt den Spiegel vor.

Wer aber trägt Verantwortung für ein Spiegelbild? Verantwortung ergibt nur im Rahmen einer Ungewissheit Sinn, wenn also künftige Entwicklungen oder Handlungsfolgen vorab nicht planbar sind. Insofern sind wir alle Verantwortliche einer gesellschaftlichen Entwicklung, je nach der gesellschaftlichen Rolle, die wir ausfüllen als Eltern, Pädagogen, oder Politiker; als Wissenschaft oder Wirtschaft; und wir können wählen, ob wir diese Rolle als Surfer, Blogger, Online-Redakteur oder Web-Autoren einnehmen, ob wir am öffentlichen Diskurs teilnehmen oder ob uns Partizipation ganz egal ist. Das ist die entscheidende Änderung der neuen Technologie: Das World-Wide-Web ist die Druckerpresse des kleinen Mannes und der kleinen Frau, die nun nicht mehr von der Gnade der Leserbrief-Redaktion abhängen, ob ihre Meinung relevant ist oder nicht.

So wie der Buchdruck kann auch das World-Wide-Web uns Menschen helfen zu sehen und unsere Welt zu erkennen. Eine Welt, die wir verändern und gestalten können – mit unseren Ideen und Utopien, die sich durch das World-Wide-Web verbreiten und nun nicht mehr eindämmen lassen.

Diesen Beitrag präsentierte Michael Frenzel, Leiter Unternehmenskommunikation bei 1&1, am 25. November 2009 im Rahmen der zweiten Sitzung der Enquete-Kommission  "Verantwortung in der medialen Welt" im Landtag von Rheinland-Pfalz.

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